„Smartes Land ist gerade nicht Digitalisierung. Es geht um die Frage, was eine Mittel- oder Kleinstadt mit vielen Dörfern im Kern zusammenhält“, sagt eine Wirtschaftsförderin aus Ostwestfalen Lippe. Sie selbst arbeitet im ländlichen Raum daran, mit lokalen Akteuren die Chancen von neuen technischen und digitalen Lösungen für die gemeinschaftliche Entwicklung nutzbar zu machen. Auf dem Zukunftsforum Ländliche Entwicklung in Berlin befragte Mesopartner neben ihr auch verschiedene andere Experten zu der Frage. „Was zeichnet ein smartes Land aus?“ Der Begriff stammt aus dem Englischen und hat als „smart rural areas“ in den letzten Jahren die internationale Diskussion um Innovationen im ländlichen Raum geprägt.
Der folgende Blog gibt Mitschnitte unserer Umfrage wieder und verdeutlicht, dass smarte Räume weit mehr benötigen als digitale Lösungen.
SMART = BELIEBIGKEIT UND ABSTRAKTHEIT
Bei der Umfrage weckte der Begriff „Smartes Land“ bei vielen sowohl Gestaltungsideen als auch Kritik. Die Kritik stößt sich vor allem an der Ableitung von „Smart City“ Konzepten und einem vorwiegend digitalen Verständnis von Entwicklung. Andere stören sich an seiner abstrakten und wenig direkt vermittelbaren und identitätsstiftenden Bedeutung.
„Eine neue Verpackung wird genutzt, um alte Überlegungen weiterzutragen“
„Ich finde den Begriff ganz schrecklich und kenne ihn vom urbanen Raum. Er sagt ja eigentlich nur, man sollte alles intelligent angehen. Und das in einem bestimmten Konzeptrahmen, der sozusagen der Moderne gerecht wird. Aber warum muss man den Begriff von „smart city“ auf den ländlichen Raum übertragen? Braucht es eine neue Verpackung, um alte Überlegungen weiterzutragen? Nein!“
„Smart ist nicht gleich digital“
„In den meisten Fällen hat ein smarter Fokus etwas mit Digitalem zu tun. Es muss aber nicht alles digital sein. Gerade im ländlichen Raum wäre es ja schön, wenn es auch Räume und Lösungen gibt, wo Menschen wieder mehr von Angesicht zu Angesicht zusammenkommen könnten. Die Entwicklung des ländlichen Raums umfasst ja ganz viele Themenbereiche und sucht nach sozialen, ökologischen, politischen und wirtschaftlichen Antworten. Da steckt ganz viel drin, auf das der Begriff „Smartes Land“ keine Antworten gibt.“
„Er ist so beliebig, dass er von vielen missbraucht wird“
„Ich kann mit dem Begriff nicht mehr viel anfangen, weil „smart“ so beliebig benutzt und zugleich so oft missbraucht wird. Bei Energieversorgern heißt es „Smart Meter“, bei den Menschen „smarte Typen“, beim Land ist es das „smarte Land“ oder „smarte Digitalisierung“. Was ist es denn? Ich weiß es nicht!“
„Er schafft keine Identifikation und keine Begeisterung“
„Neue Konzepte in allen Ehren, auch Wandel ist wichtig. Aber Wandel benötigt die Mitnahme und Begeisterung von Menschen. Hier versagt der Begriff. Welche Idee steckt dahinter? Vermittelt er eine konkrete Idee, mit der ich mich identifizieren kann? Welchen Zugang finden Anglizismen und neue abstrakte Konzepte in Räumen, in denen man es auch mit traditionellen Rollenmustern und konservativen Strukturen zu tun hat? Aber ohne ein Verständnis für das Ziel als auch eine Identifizierung mit der Idee macht die Nutzung des Begriffs keinen Sinn.“
SMART = VERBINDUNG VON NEUEN TECHNISCHEN UND SOZIALEN LÖSUNGEN
Sieht man die Digitalisierung als ein verbindendes Element von technischen und sozialen Ansätzen, eröffnet der Begriff eine Fülle an kreativen Reflexionen für ländliche Entwicklung. Viele der Kommentare verbinden den Begriff mit der Notwendigkeit, neue technische Möglichkeiten für sozialen Lösungen und Probleme auf dem Land nutzbar zu machen.
„Wir können neue technische Möglichkeiten mit neuen Praktiken verbinden“
„Smart sein im ländlichen Raum heißt, dass man die Möglichkeiten, die die technologischen Entwicklungen, insbesondere die Digitalisierung, mit sich bringen, verbindet mit neuen Praktiken und dass man damit Probleme, die man hat, etwa in strukturschwachen Regionen, lösen kann. Zum Beispiel weil jetzt Telearbeit und Tele-Learning möglich ist. Aber auch weil die Menschen sich jetzt mit einer Mitfahr-App oder Lieferservice-App zusammenfinden, ihre Mobilität erhöhen und ihre Nahversorgung und Lieferung von Produkten ganz anders gestalten können.“
„Wir verknüpfen technische und soziale Innovationen“
„Smartes Land“ bedeutet, dass mit den digitalen Möglichkeiten eine Verbindung zwischen technischen und sozialen Innovationen möglich wird. Sie bieten enormes Potential, um Problemlagen neu zu identifizieren. Dabei werden die Apps und die reinen technischen Innovationen verbunden mit dem Alltagsleben der Menschen, die sich das zu Nutze machen und daraus neue Ansätze für die Gemeindeentwicklung und für das Leben auf dem Land entwickeln.“
„Es stimuliert neue Lösungs- und Denkansätze“
„Letztlich geht es um die Chance, durch die Nutzung neuer technischer Möglichkeiten neue Denk- und Lösungsansätze zu stimulieren. Wie schaffen wir es, alt und jung zusammen zu bringen, neue Hilfsangebote für Alleinstehende, für Menschen in Krisen und für interessierte Rückkehrer zu bieten? Das ist für mich das smarte Land: Durch gemeinsame verstärkte digitale und direkte Kommunikation kommen wir zu smarteren Lösungen für das Dorf und Land.“
SMART = VERBINDUNG VON VIELEN MOSAIKSTEINEN
Während die vorausgehenden Interpretationen des Begriffs vorwiegend auf Digitalisierung als auch auf die Synergien zwischen technischen und sozialen Lösungen setzen, fassen andere Experten den Begriff weiter. Sie betonen verschiedene Mosaiksteine, die ein smartes zukunftsorientiertes Land auszeichnen. Es sind eher weiche Faktoren, die wesentliche Erfolgskriterien für eine smarte Entwicklung auf dem Land betonen: „Kommunikation“, „Partizipation“ „Qualifikation“, „Befähigung“, „Interdisziplinarität“.
„Digitalisierung ist nur ein smarter Mosaikstein unter vielen anderen“
„Der Begriff muss neu definiert werden für den ländlichen Raum. Smart ist definitiv nicht im wesentlichen Digitalisierung. Smart bedeutet nicht nur intelligente Ansätze im Technischen, sondern auch im Sozialen, im Prozesshaften, im Politischen, im Baulichen. Es sind viele weitere Mosaiksteine, die smart miteinander verknüpft werden müssen, um Menschen und Entwicklung wirklich voranzubringen.“
„Kommunikation und Kompetenzen sind das Scharnier für Veränderung“
„Ich habe jetzt keine Definition für „das smarte Land“ aber einen ad hoc-Zugang. Für mich bezieht sich smart sehr stark auf das Thema Kommunikation. Wenn Menschen gezielt oder auch nicht so gezielt miteinander sprechen, ist es die Basis für ein angenehmes Miteinander und die Gestaltung für das unmittelbare Lebensumfeld. Kommunikation ist in diesem Fall für mich tatsächlich ein ganz wichtiges Scharnier für smartes Land. Genauso aber auch Wissen und Kompetenzen. Kompetenzen nicht nur hinsichtlich technischer oder digitaler Aspekte, sondern auch Kompetenzen im Umgang miteinander, mit unterschiedlichen Menschen und Charakteren, unterschiedlichen Akteuren aus den verschiedenen Teilbereichen der ländlichen Räume, sei es Verwaltung, Bürger, Vereine, Unternehmen. Hier ist Kommunikation das Scharnier, was vieles ermöglicht.“
„Es steht für Partizipation und Identifikation“
„Smartes Land ist für mich Partizipation, Beteiligung der Dorf- und Landbewohner bei der Gestaltung ihres Lebensraumes zu ermöglichen. Dazu gehört auch zu sagen: Dies ist unser Land! Smart heißt, Identifikation schaffen und zugleich Qualifikationschancen bereitstellen. Es geht darum, Wissen darüber zu vermitteln, wie sich Menschen selbst beteiligen können, ihre Ideen einbringen und umsetzen können. Es geht darum, Raum zu schaffen für Treffpunkte und Selbstverwirklichung. Gemeinden sollten diesen Prozess unterstützen, indem sie mehr Vertrauen in die eigenen Bewohner setzen. Wir haben hier auf der Konferenz an Beispielen gehört, wie ungenutzte Potenziale durch Bereitstellung freigesetzt werden, z.B. dadurch, dass durch die Verwaltung oder Privatpersonen ungenutzte Gebäude, Flächen und Personal zur Verfügung gestellt wurden, um einen Dorfladen, einen Gemeinschaftsgarten, die Begegnung von Alten und Kindergartenkindern zu ermöglichen. Es gibt unzählige weitere Beispiele. Aber damit die Umsetzung dann auch erfolgreich funktioniert, gibt man den lokalen Umsetzern in erfolgreichen Ansätzen auch eine Qualifikation mit an die Hand. Dann entsteht erfolgreiche Vernetzung, effizientere Nutzung, Gemeinschaft durch Lernen. Das ist smartes Land!“
„SMART = OFFENHEIT UND LERNEN VON ANDEREN, UM TRADITION UND MODERNE SINNVOLL ZU VERBINDEN“
Viele interviewte Experten betonten auch, dass die verschiedenen Mosaik- oder Bausteine nur gestärkt werden können, wenn die Menschen auf dem Land als auch dessen neuen hinzuziehenden Landbewohner sowohl offen sind, Neues anzugehen, von anderen zu lernen und auszuprobieren als aber auch Altes und Neues nebeneinander stehen lassen können oder gar neu verknüpfen. Vielfalt und Einzigartigkeit von Lebensformen können sich in diesem Sinne in einem smarten Land bestärken.
„Neuen Gegebenheiten mit Freude begegnen“
„Smart heißt modern, mit der Zeit gehen, sich an neue Gegebenheiten schnell und mit Freude einstellen.“
„Lernen von Städten und Urbanität zurückholen“
„Denke ich an ein „smartes Land“ habe ich Bilder vor Augen mit Menschen auf dem Land in Anzügen und Krawatte. Sie kommen aus den Städten, zurück aufs Land. Ein smartes Land spricht also nicht nur die Menschen an, die dort leben, sondern auch diejenigen, die wieder dort leben wollen und ihr Lebensumfeld auch mitgestalten wollen. Deshalb sollten wir sehen, dass wir Urbanität wieder in den ländlichen Raum bringen. Gerade die Rückkehrer aus den Städten müssen wir da abholen, wo sie auch ein anderes Lebensumfeld kennengelernt haben. Letztlich ist ein „smartes Land“ ein Raum, in dem man offen dafür ist, von anderen zu lernen, um die eigenen Stärken und Potenziale neu in Kraft zu setzen.“
„Einen Experimentierraum schaffen im Spannungsfeld von Tradition und Moderne“
„Im Vordergrund steht das Thema „sorgende Gemeinschaft“. Das Dorf als übersichtliches Gebilde, man kennt sich, man sorgt füreinander. Man hat Interesse, Tradition und Moderne miteinander zu verbinden. Es geht darum zu bewahren was Menschen Identität gibt, aber auch das zu verändern, was anders bessergeht. Hierfür bedarf es einen Raum zum Experimentieren, einen sozialen Ort, an denen man Dinge in einer Übersichtlichkeit austauscht und entwickelt, die es in der Stadt vielleicht so nicht gibt.“
„Es ist der Einklang von Vielfalt und Freiheit“
„Ich komme selbst vom Land und für mich ist das Smarte am Land die Gemeinschaft. Sie hat sowohl vielfältige als auch einzigartige Elemente. Herunterkommen, sich erholen und trotzdem was erleben auf eine ganz andere Art und Weise als es in der Stadt mit vielen Menschen, viel Bewegung, vielen Eindrücken möglich ist. Land ist genau der Kompromiss aus Altem und Neuem, neu im Sinne von Ideen und Aktivitäten, die ich auf dem Lande habe, mir in der Stadt aber nicht in den Sinn kommen würden, weil ich kreativer nach eigenen Lösungen suchen muss. Es können neue Initiativen sein aber zugleich auch das Genießen eines schönen Sonnenuntergangs, wo ich mit Nachbarn oder Freunden am Lagerfeuer beim Bier sitze, laut oder leise Musik hören oder singen kann. Diese Freiheit der Entscheidung und die Nutzung der Vielzahl von Möglichkeiten, das ist für mich smart.“
„Die Offenheit für Vielfalt“
„Für mich ist ein smartes Dorf ein flexibles Dorf, das sich gegenüber Innovationen, Neuerungen und Lernprozessen offen zeigt und Menschen unterstützt, die etwas umsetzen wollen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass der ländliche Raum kein Monolith ist. Eigentlich unterscheidet sich der Charakter von Dorf zu Dorf und hängt in erster Linie von den jeweiligen Menschen und ihrer Offenheit ab. Wenn man etwas verändern möchte, dann braucht man die Aktiven und Antreiber als auch die politische Unterstützung. Aber man braucht auch das Wohlwollen der anderen Bewohner. Für mich ist ein smartes Land, welches hier sehr flexibel ist und in dem die Menschen den Raum erhalten, Neues zu bewegen, zugleich aber der Rest der Community, wenn schon nicht unterstützt, so doch nicht mit Widerstand blockiert.“
SMART= DIE SCHAFFUNG VON SYSTEMISCHEN VS. EINDIMENSIONALEN ANSÄTZEN
Zusammenfassend verdeutlichen aus unserer Sicht die unterschiedlichen Interpretationen des Begriffs, als auch die Polarität dergleichen, dass Zukunftsansätze auf dem Land nicht in erster Linie eindimensional interpretiert werden können. Es geht nicht um „Digitalisierung“ und nicht um „das“ Dorf oder „das“ Land, sondern um die Schaffung von Lebens- und Umsetzungsvielfalt in sehr bunten und unterschiedlichen Räumen. Hierzu bedarf es auch einer systemischen und komplexitätssensitiven Herangehensweise, die isolierte Lösungsmuster überwindet und das „smarte Land“ als ein kontextabhängiges, vielfältiges Gebilde von Menschen, Interessen und veränderbaren Strukturen betrachtet. Die „Rekombination von Bestehendem zu etwas Neuem“ gilt seit Joseph Schumpeter als Losspruch für Innovation. Schumpeter prägte aber auch den Begriff der „kreativen Zerstörung“, der die häufig genannte Gemeinschaftseuphorie auf dem Lande in Frage stellt. Schumpeter drückte sowohl die Notwendigkeit für Veränderung durch kluge Nutzung von dem, was schon da ist aus, als auch die Notwendigkeit der Störung traditioneller Komfortzonen, die häufig auch damit verbunden ist, manche alte Zöpfe abschneiden zu müssen.
In diesem stetigen Spannungsfeld bewegt sich unsere eigene Mesopartner-Interpretation des smarten Landes. Es geht dabei nicht darum, diese Spannungen aufzulösen, sondern sie im Gegenteil zu nutzen. Mit der Initiierung von systemischen statt isolierten Lösungsansätzen können sie der Ausgangspunkt für die Schaffung von attraktiven und vielfältigen Lern- und Lebensorten bilden. Unserer Auffassung nach muss der Begriff auch in diesem Sinne neu gefüllt werden, verschiedene Interpretationen und Perspektiven aufgreifen und integrierte Handlungsstränge ausgearbeitet werden.
Mit der Plattform smartes.land werden wir von Mesopartner uns an der Diskussion um ein smartes Land beteiligen. In den kommenden Wochen werden wir an dieser Stelle auch einen Analyserahmen für die Entwicklung des smarten Landes vorstellen. Außerdem bieten wir mit unserer Prozessberatung und unseren Analyseinstrumenten und -methoden ländlichen Regionen Unterstützung bei ihrer eigenen smarten Revolution vor Ort an.
2 Antworten auf „Was zeichnet ein „smartes Land“ aus? Ergebnisse einer Umfrage“